Der 4. Ostersonntag ist der  „Weltgebetstag um Geistliche Berufe“.  Im Gespräch mit Sr. Eva-Maria erzählt Sr. M. Agnes von ihrer Berufung und wie sie auf den Nonnberg kam.

Eva-Maria: Sr. M. Agnes, Sie sind vor fast 58 Jahren ins Kloster eingetreten. Was war für Sie der Beweggrund ins Kloster zu gehen?

Agnes: Die Liebe zum Gebet und die Liebe zu Jesus.

Eva-Maria: Können Sie erzählen, wie Gott Sie auf diesen Weg gerufen hat?

Agnes: Ich bin als jüngste von vier Geschwistern in einer evangelischen Familie in Lechbruck im Allgäu aufgewachsen. Meine Eltern waren gläubig, mein Vater hat regelmäßig in der Hl. Schrift gelesen und das gemeinsame Gebet vor dem Einschlafen gehörte zu unserem Tag dazu. Als Kind habe ich ein spielerisch schönes Leben gehabt, aber mein Gewissen hat mir manchmal gesagt, ich könnte in der Schule fleißiger sein. Dann hatte ich, als ich 12 oder 13 Jahre alt war, einen Traum: die Welt geht unter. Auf diesen Traum hin habe ich mir gedacht: Jetzt bessere ich mich aber. Doch bald war alles wie vorher: ich habe lieber gespielt als gelernt. Dann hatte ich denselben Traum noch einmal – und da hat es eingeschlagen! Da habe ich mir gedacht: So, jetzt nehme ich aber meinen Katechismus her und das evangelische Liederbuch und lerne daraus. Weil in der Schule kann ich nicht so tüchtig sein. – Es war mir ganz ernst. Ich habe mir eine Mappe gemacht und dort Katechismus und Liederbuch hineingelegt, und dann bin ich an den Lech gegangen und habe dort gelesen und gelernt.
Wir hatten einmal in der Woche Handarbeitsnachmittag bei Sr. Clarentine, einer Franziskanerschwester von Dillingen, wo ich aber nicht gerne hinging. Meine Freundin hat mich auf der Straße getroffen und zu mir gesagt: „Geh mit mir zu Sr. Clarentine, ich muss bei ihr etwas besorgen.“ „Nein“, habe ich gesagt, „zu der gehe ich nicht, die schimpft mich nur.“ Aber dann bin ich doch mitgegangen – und Sr. Clarentine hat mich wirklich geschimpft: „Du, mach mal deine Handarbeit richtig und bring mir das Geld, das du mir noch schuldig bist. Ich muss die Sachen ja auch bezahlen.“ Da habe ich zu ihr gesagt: „Sr. Clarentine, ich bin ja gar nicht so schlecht, wie Sie meinen.“ „Dann komm und mach deine Aufgabe.“ Also bin ich von da an jeden Nachmittag zu Sr. Clarentine gegangen. Im Handarbeitssaal waren Leute aus der Umgebung, die bei Sr. Clarentine nähen gelernt haben und nebenbei beteten sie den Rosenkranz. Ich bin dagesessen, habe meine Handarbeit gemacht und denen zugehört. Weil ich zu der Zeit schon Konfirmandin war und im Unterricht vieles gelernt habe, habe ich, wenn die anderen Leute gegen 17 Uhr fortgegangen waren, oft Sr. Clarentine gefragt: Warum machen die Evangelischen das so und die Katholischen so?
Eines Nachmittags sagte ein Schüler aus meiner Klasse zu mir: „Du, geh doch mit – jetzt ist Hl. Stunde in der Kirche.“ Da habe ich ihm geantwortet: „Da kann ich nicht mitgehen, da fürchte ich mich. Ich kann keine Kniebeuge machen.“ Aber ich bin halt doch mitgegangen.
In der Kirche war das Allerheiligste ausgesetzt und da habe ich mir nur gedacht: „Ja, die glauben an die Gegenwart Jesu und die Evangelischen nicht.“ Denn im Unterricht beim Pfarrer hatte ich gelernt, dass Brot und Wein erst beim Empfang zu Leib und Blut Christi werden, und nachher ist es wieder Wein und Brot. Und da sah ich jetzt die Monstranz und wie sie die Kniebeuge machen – das hat mir einfach besser gefallen.
An einem Tag, es war vor dem 8. Dezember, habe ich das Bedürfnis gehabt, mit Sr. Clarentine über diese Sache zu reden. Ich sagte ihr, dass ich das schöner finde und schade, dass das die Evangelischen nicht haben. „Aber ich bleibe evangelisch!“ – so habe ich zu ihr gesagt. Wie ich das so ausgesprochen habe, überkommt es mich plötzlich und ich bleibe stehen und still und von dem Augenblick an habe ich gewusst, ich werde katholisch. Ganz ohne Zureden von Sr. Clarentine. Und ich habe ihr das gesagt: „So, jetzt weiß ich es, ich werde katholisch.“

Eva-Maria: Im gleichen Gespräch?

Agnes: Ja, im gleichen Gespräch. Sie hat gesagt: „Gut, aber sag es niemanden. Nur zuhause darfst du es sagen.“ Das habe ich getan.
Dann war wieder Konfirmandenunterricht, aber da war ich nicht mehr so aufmerksam. In der Pause habe ich dem Pfarrer gesagt: „Herr Pfarrer, ich werde katholisch.“ – nicht „ich will katholisch werden“, sondern „ich werde katholisch“. Dann hat er mich von A-Z mit lauter theologischem Argumenten bearbeitet. Schließlich hat er die anderen Kinder hereingerufen und ihnen gesagt: „Die will katholisch werden.“ Alle haben auf Sr. Clarentine geschimpft und in den nächsten drei Tagen war es Dorfgespräch. Die evangelischen Leute sind zu meiner Mutter gekommen und haben ihr Vorwürfe gemacht, aber ich bin stark geblieben. Für mich hat es kein Zurück mehr gegeben. Mein Vater war zuerst dagegen und hat gesagt: „Das erlaube ich dir nicht.“ Sr. Clarentine sagte dazu nur: „Du musst nur beten, dann macht es der liebe Gott schon.“
Mein Vater war sehr bedrückt und machte sich um mich Sorgen. Als er eines Tages mit dem Zug in die Arbeit fuhr, kam er mit einer Bekannten ins Gespräch. Diese sagte zu ihm: „Herr Wagner, wenn ihre Tochter einen jungen Burschen hätte, wäre das viel, viel schlimmer. Wenn sie religiös ist und so etwas will, dann ist das doch nichts Schlechtes.“ Von da an hat er mir nichts mehr in den Weg gelegt. Ich konnte frei zum katholischen Pfarrer gehen und ihm sagen, was mein Wunsch ist, und er ist auch darauf eingestiegen. Am 24. Februar, an meinen 14. Geburtstag bin ich aufs Amt gegangen, um aus der evangelischen Kirche auszutreten. Zusammen mit zwei anderen Jugendlichen bekam ich dann 4-6 Wochen lang Unterricht beim katholischen Pfarrer.

Mit dem Frühling kam auch die erste hl. Beichte. Die Beichte war nachmittags, und ich hatte alles auf einem Zettel vorbereitet. Plötzlich kam ein Sturm, und es wurde ganz dunkel in der Kirche. Da dachte ich mir: Wie soll ich jetzt denn tun, wenn ich das nicht mehr lesen kann? Als ich in den Beichtstuhl hineingegangen bin, ist die Sonne inzwischen wiedergekommen und ich konnte alles beichten. Danach war ich so selig und glücklich, wie kaum mal mehr in meinem Leben. Am 11. April war meine Erstkommunion. Sr. Clarentine hat mir ein weißes Kleid genäht und meine Eltern waren auch dabei.
Im Sommer war für mich die Schulzeit zu ende. Ich habe zu Sr. Clarentine gesagt: „Ich möchte in ein Kloster gehen, damit ich jeden Tag die hl. Kommunion empfangen kann.“ Das war mein größter Wunsch. Ich wollte keine Lehrstelle haben, wo es mir dann nicht möglich gewesen wäre, jeden Tag zur hl. Messe zu gehen. Sie hat mir geantwortet: „Ins Kloster kannst du noch nicht, du bist noch zu jung. Aber ich weiß, ein alter Geistlicher Herr sucht eine Haushaltshilfe als Unterstützung für seine Haushälterin. Da kannst du hin.“ Sr. Clarentine fuhr bald danach auf Urlaub, doch ich wollte nicht warten, bis sie wieder zurück war, und so habe ich mich aufs Rad gesetzt und bin nach Buching zu dem Pfarrer gefahren das Halblechtal entlang, um mich vorzustellen. Der Pfarrer hat mich in die Pfarrstube mitgenommen und mir das Harmonium gezeigt, das Gebetbuch aufgeschlagen und mich etwas Lateinisches lesen lassen. Ich konnte damals kein Wort Latein, und er hat mir ein bisschen geholfen: „est“ heißt „ist“ und „in“ heißt „in“. Das war mein erster Unterricht in Latein! Dann hat er mich gefragt, wann ich kommen will. „Morgen!“ Spätabends bin ich heimgekommen und habe meine Mutter gebeten, dass sie mir den Koffer packt, damit ich am nächsten Tag dort beginnen kann.

Eva-Maria: Beim Herrn Geistl. Rat haben Sie dann das Stundengebet kennengelernt?

Agnes: Der Herr Geistl. Rat war durch den Krieg und einen kurzen Gefängnisaufenthalt nervlich sehr angeschlagen, sodass er alleine nicht mehr das Brevier beten konnte. Da kam er auf die Idee, seinen Haushälterinnen das lateinische Breviergebet beizubringen, damit sie mit ihm beten konnten. Um 4 Uhr in der Früh hat er uns geweckt und um 5 Uhr haben wir begonnen, die Laudes zu beten und zu singen. Zwischen den Laudes und der Hl. Messe um 7 Uhr hat er mir ein bisschen Unterricht am Harmonium gegeben und Latein beigebracht. Um 11 Uhr haben wir die Sext gebetet, um 17 Uhr die Vesper und nach 20 Uhr die Komplet.

Eva-Maria: Sie hatten also in den Jahren, wo Sie gearbeitet haben, schon ein klösterliches Leben und trotzdem war für Sie klar, dass Sie ins Kloster gehen wollen?

Agnes: Ja, ich wollte in ein Kloster gehen, wo man die Gebetszeiten so betet. Mir war der Unterschied zwischen einem kontemplativen Kloster und den Schwestern in Dillingen, die anders beteten und auch andere Aufgaben hatten, bewusst. In den Sommermonaten hat der Herr Geistl. Rat mit seiner Haushälterin und mit mir immer eine Reise gemacht. Einmal sind wir durch Deutschland gefahren und haben bei vielen kontemplativen Klöstern gefragt, ob sie mich nehmen würden, doch alle haben abgelehnt, weil ich keine Matura hatte. So könnte ich keine Chorfrau werden. Im letzten Sommer (ich war 6 Jahre im Pfarrhof) sind wir nach Wien gefahren und von dort über Klagenfurt nach Salzburg, wo der Herr Geistl. Rat ohne mein Wissen auf den Nonnberg gefahren ist und gefragt hat, ob ich kommen könnte. Und Nonnberg hat sofort Ja gesagt, auch ohne dass ich eine Mitgift hätte zahlen müssen, wie es bei den anderen Klöstern verlangt war. Ich könnte sofort kommen. Doch ich habe gesagt: Ich kann Herrn Geistl. Rat, der so viel Gutes für mich getan hat, nicht allein lassen. Er war ja schon 80. Das hat ihn sehr bedrückt, denn er wollte meiner Berufung nicht im Weg stehen, denn obwohl wir wie im Kloster gelebt haben, war es doch kein Kloster. Ich habe ihn beruhigt und ihm gesagt, ich würde bei ihm bleiben, damit er sich im Alter nicht jemand neuen suchen müsse. Er ist aber überraschend schnell gestorben. Am 10. November ist er allein spazieren gegangen und in der Ache verunglückt und durch Unterkühlung gestorben.
Das war mir dann zu schnell. Ich bin über Weihnachten nach Hause, und dann hat mich ein Priester gebeten, ich möchte bei ihm eine Zeitlang im Haushalt helfen. Da habe ich zugestimmt, denn zu Hause hatte ich nicht das Klima, das ich im Pfarrhof gehabt habe. Ich habe mich für ein paar Monate einstellen lassen und gesagt, dass er sich jemand anderen suchen müsste, da ich ins Kloster gehe.
In dieser Zeit bin ich ein paar Mal auf den Nonnberg gefahren. Im Herbst, am 23. September 1962, bin ich eingetreten. Ich war 21 Jahre alt. Ich habe keine Probe gemacht, ich habe gewusst: ich bleibe. Ich wollte ganz Jesus gehören.

Eva-Maria: Ihr geistliches Leitwort ist „pro mundi vita“ (für das Leben der Welt). Wie sind Sie auf dieses Wort gekommen?

Agnes: Das Leitwort des Eucharistischen Kongresses 1960 in München war „pro mundi vita“, und diesen Kongress habe ich mit Herrn Geistl. Rat besucht.
Ich habe immer gern geredet und auch meine Meinung gesagt, im Kloster war das halt ein bisschen zuviel. Das war die Ursache, dass ich auf die Profess warten musste. Das war mir fast unglaublich, dass ich auf die Profess warten musste und meine Mitschwester, die mit mir eingekleidet worden war, nicht. Das war sehr schwer. Da ist in mir „pro mundi vita“ wieder aufgewacht. Der Schmerz, dass ich warten musste, war die Ursache – „für das Leben der Welt“ opferte ich es auf.

Eva-Maria: Und seither begleitet Sie das?

Agnes: Ja. Es war ganz stark und hat mir Kraft gegeben. 5 Monate später durfte ich dann die Profess ablegen. Ich war halt einfach zu wenig klösterlich. Sobald Rekreation war, bin ich allen um den Hals gesprungen und habe alle umarmt und getanzt …

Eva-Maria: Wenn Sie jetzt nach 56 Professjahren zurückschauen – was war das Schönste? Würden Sie den Weg wieder gehen?

Agnes: Ja, auf alle Fälle. Die einfache Profess war das Seligste.

Eva-Maria: Der Weltgebetstag heuer hat als Motto „Habt keine Angst!“ – was würden Sie jungen Menschen sagen, die sich mit dem Thema Berufung auseinandersetzen, sich aber nicht getrauen, so einen Schritt zu wagen?

Agnes: Das Ordensleben kann man mit Freude beginnen. Ohne Bindung ist kein gutes Leben möglich. Wer sich nicht entscheiden kann, der verliert etwas. Die Entscheidung ist notwendig, und wer sich nicht entscheiden kann, der ist arm.

Eva-Maria: Wenn Sie es in ein paar Sätzen formulieren: was ist das Schöne in unserem Leben? Was gibt Ihnen Kraft für jedem Tag?

Agnes: Die heilige Kommunion und das innere Gebet mit Jesus. Diese Vertrautheit mit Jesus. Statt eines weltlichen Bräutigams habe ich meinen Jesus und der ist mir noch viel näher. Diese Gewissheit: er liebt mich und er hat mich berufen – und ich bleibe ihm treu. Im Noviziat haben wir einen kleinen Spruch gemacht: „Ipsi soli servo fide – ihm allein bewahre ich die Treue“. Auch wenn es einmal schwer sein kann: das Klosterleben ist ein gutes Leben, ein reiches Leben.

Eva-Maria: Wo fühlen Sie sich so reich beschenkt? Was macht Sie reich? Materiell haben wir ja nicht so viel.

Agnes: Die Liebe von Gott und ihn lieben zu dürfen – das ist der große Reichtum.

Eva-Maria: Sie haben auf eine eigene Familie verzichtet.

Agnes: Das war mir nicht schwer, weil Jesus mein Bräutigam ist und die ganze Welt meine Kinder sozusagen.

Eva-Maria: Das heißt, Sie können für die ganze Welt Mutter sein – im Gebet.

Agnes: Jesus Christus ist der uns Beschenkende. Das Gebet, das Stundengebet sind die Flügel in die ganze Welt hinaus, die diese kostbaren Gottesgaben den Menschen bringen. Oh, wenn wir sehen könnten, denn die Geschenke sind wunderbar groß, gut, heilsam und kostbar – also: beten, singen und glauben wir. Das war nie ein Verzicht, dass ich gedacht habe: jetzt habe ich keinen Freund. Jesus war so real mein Geliebter, mein Bräutigam…

Eva-Maria: …. und ist er noch immer Ihr Bräutigam?

Agnes: Ja, noch immer! Erst recht!! Ein bisschen anders wie jugendlich – reifer, aber nicht weniger.

Eva-Maria: Das heißt, die Liebe reift; so wie der Mensch reift, reift auch die Gottesbeziehung.

Agnes: Ein bisschen anders wird sie. Manchmal tiefer, wenn trockene Stunden kommen, das gehört dann auch dazu.

Eva-Maria: Es gibt es ja oft, dass Leute sagen: Wenn es schwierig wird, dann fange ich etwas Neues an. Aber durch die Bindung gehen wir den Weg weiter, auch wenn es einmal trocken ist.

Agnes: Ja. Man braucht ja nur anzufangen zu vergleichen: was wäre wenn… ein Chaos! Ich könnte nie mehr glücklich sein, ein anderes Leben zu führen, draußen, freiwillig.

Eva-Maria: Wie hilft das Gemeinschaftsleben? Sie hätten ja auch Einsiedlerin werden können…

Agnes: Rekreation, das Miteinander in Gemeinschaft ist mir so wertvoll und wichtig. Freundschaft im Kleinen und im Ganzen ist notwendig. Ich wünsche mir schon jemanden, mit dem ich reden kann, um geistliche Dinge auszutauschen. Für mich ist auch das Schreiben eine große Hilfe, dass man von der Seele geben kann, was man denkt. Das kann eine große Stütze sein, so in der Art eines geistlichen Tagebuchs.

Eva-Maria: Haben Sie heute schon etwas geschrieben?

Agnes: Ja.

Eva-Maria: Wollen Sie verraten, was Sie geschrieben haben?

Agnes: Zuerst schreibe ich: Pax (Friede), das ist unser benediktinischer Gruß. Dann die Bitte: Komm Hl. Geist!, so beginne ich immer. Dann habe ich heute Morgen geschrieben: Wenn ich aufwache, wartet Jesu schon, dass ich das Gute wieder anstrebe und tue. Jesus ist unser Gut. Er ist in allem. Gut sein ist „lieben“. Lieben ist leben. Gut, Jesus, gut … Ich liebe Dich, Du guter Gott!