Ordensleben ist … Pilger und/oder Baum sein?

Gespräch zwischen unserer Sr. Maria Gratia und unserer Sr. M. Benedicta
(in Anlehnung an die Erzählung „Der Landstreicher und der Baum“)

Sr. M.G.: Sie lebten ja zuerst als Ordensfrau in einer apostolischen Gemeinschaft, deren Schwestern an vielen Orten in kleineren und größeren Gemeinschaften zusammenleben und einer Tätigkeit außer Haus nachgehen. Auch Sie waren an unterschiedlichen Orten u.a. in einem Krankenhaus tätig. Nun leben Sie hier am Nonnberg, in einer benediktinsch-monastischen Gemeinschaft. Ihr Leben jetzt unterscheidet sich doch von dem Leben der Gemeinschaft, in der Sie vorher lebten, denn wir arbeiten nicht außer Haus, werden nicht in eine andere Niederlassung versetzt, sondern bleiben unser Leben lang an diesem Ort, in diesem Kloster. Sagen Sie, wie ist eigentlich das Leben in einem tätigen Orden?

Sr. M.B.: Man fühlt sich wie ein Pilger auf langer Wanderschaft, von Gott gerufen, seine Liebe zu den Menschen zu tragen… Und wie geht es Ihnen mit dem Bleiben im Kloster?

Sr. M.G.: Ich fühle mich eher wie ein Baum, der in der Erde fest verwurzelt ist. Ja, ich glaube, darin liegt unsere monastische Berufung: ein Baum zu sein, der am Wasser gepflanzt ist, der zur rechten Zeit Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken … (Ps 1)… Wie geht es Ihnen mit dem „Zum-Baum-werden“ in unserer benediktinischen Gemeinschaft? Fehlt Ihnen nicht ab und zu das Pilger-sein?

Sr. M.B.: Anfangs schon ein wenig. Aber das Pilger-sein hat auch sine Schwierigkeiten; man kann nirgends Wurzeln schlagen; hat keine Gewissheit, wie lange man an einem Ort bleiben kann. Man reift zwar durch immer neue Aufbrüche und sammelt neue Erfahrungen, aber man muss auch immer wieder loslassen und das kann manchmal schmerzlich sein…

Sr. M.G.: Da haben Sie recht. Das kann uns Bäumen nicht passieren. Wir werden nicht immer wieder ausgerissen und neu eingepflanzt. Wenn wir einmal das richtige Erdreich gefunden haben, können wie da für immer bleiben, wachsen und uns entfalten. Aber die Erfahrung des Loslassen-müssens, die machen wir auch. Oft ist es einfach notwendig, dass unsre Zweige zurechtgeschnitten werden, oder dass wir einige Blätter fallen lassen müssen, damit wieder frisches Grün nachwachsen kann.

Sr. M.B.: Wissen Sie, eine der schönsten Seiten des Pilger-seins ist: man ist bei den Menschen, man kennt ihre Sorgen und Nöte und kann ihnen ganz konkret helfen. Das vermisse ich schon ein wenig: dieses In-die-Welt-gehen/ Zu- den-Menschen-gehen

Sr. M.G.: Schauen Sie, bei uns Bäumen ist es umgekehrt: zu uns kommt die Welt, zu uns kommen die Menschen … und die Nöte und Sorgen der anderen kennen wir auch. Wie viele suchen Schutz unter unserem Blätterdach, wenn die Stürme des Lebens zu heftig werden, wie viele suchen Trost und weinen sich an unserem Stamm aus, oder sie suchen einen Ort der Ruhe und Stille, einen Ort der Gottesbegegnung und ziehen sich in den Schatten unserer Zweige zurück. Wir Bäume wissen auch, was die Menschen bewegt und wie sind für sie da – eben auf eine andere Art und Weise… Diese Erfahrung haben Sie in der Zwischenzeit sicher auch gemacht….

Sr. M.B.: Ja, das stimmt. Und nachdem ich jetzt beides kennengelernt habe – das Pilger-sein in einem tätigen Orden und das Baum-sein im kontemplativen Kloster, kann ich sagen: das eine schließt das andere nicht aus. Denn im Grunde sind wir ein Leben lang Pilger auf dem Weg zu Gott … und beim „Bleiben“ geht es nicht nur um ein Sich-binden an einen Ort und eine Gemeinschaft, sondern vor allem um das Verwurzelt-sein in Gott – wie ein Baum.

Sr. M.G.: Danke für diesen Einblick in Ihr Pilger-sein. Ich wünsche Ihnen für Ihr Hineinwachsen ins Baum-sein Gottes Segen, gute Gedanken und einen langen Atem.