Wir leben in Klausur, ganz unabhängig von den Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Die „Salzburger Nachrichten“ haben nachgefragt – Hedwig Kainberger im Gespräch mit Sr. Eva-Maria. (SN, 6.April 2020)

„Die Frage ist: Was zählt im Leben?“

Ausgangsbeschränkung ist seit Jahrhunderten für die Nonnen auf dem Nonnberg alltäglich. Priorin Eva-Maria schildert, warum das guttut.

SN: Wie geht es Ihnen im Stift Nonnberg?

Schwester Eva-Maria: Gut, alle 15 Schwestern sind gesund.

SN: Was haben die Corona-Beschränkungen bewirkt?

Unser Leben hat sich wenig verändert. Die Ausgangsbeschränkung ist für uns kein Thema, wir leben sowieso in Klausur. Weil zwei Drittel von uns zur Risikogruppe gehören, haben wir die Außenkontakte auf ein Minimum reduziert. Unser Hausmeister arbeitet jetzt nur noch im Garten, unsere zwei Küchenhilfen kommen momentan nicht. Also haben wir den Kochplan umgestellt und machen weniger. Sonst backen wir um diese Zeit Kuchen in Form von Osterlämmern, um sie zu verschenken, das machen wir heuer nicht.
Unsere Pforte ist nicht besetzt, die Post wird nur abgelegt.

SN: Und das Leben innerhalb der Gemeinschaft?

Da wir nur unter uns sind, kann unser Tagesablauf wie gewohnt weitergehen. Alle haben ihre Arbeit hier im Haus. Im Chorgebet und bei Tisch sind wir zusammen. Bei der hl. Messe, die ja für Ordensgemeinschaften gestattet ist, halten wir uns selbstverständlich an das, was angeordnet ist – keinen Friedensgruß, keine Mundkommunion.
Natürlich beten wir besonders für Menschen, die sich jetzt schwer tun: für das medizinische Personal, für Kranke, für Sterbende, die in diesem Moment allein sind, für Angehörige, die sich von geliebten Menschen nicht verabschieden können, für Arbeitslose, für alle, denen die ungewisse Situation Angst macht. Wir verfolgen die Entwicklung genau und nehmen sie ins Gebet mit hinein. Wir leben hier ja nicht wie auf einer Insel. Das Gebet ist unser Grundauftrag: alles vor Gott tragen und Seine Hilfe und Seinen Segen erbitten.

SN: Wie geht es Frau Anni, der über 90-jährigen Pförtnerin?

Recht gut, auch ihretwegen haben wir die Pforte zu. Sie wäre ja Kontakten am meisten ausgesetzt – Touristen, Obdachlose, wer auch immer schaut sonst bei ihr vorbei.

SN: Eigentlich wären Sie für Begegnung auf Distanz eingerichtet: An der Pforte gibt es die Winde (eine drehbare Tonne, in der man Gegenstände von außen nach innen bugsieren kann, ohne Tür oder Fenster zu öffnen), früher gab es auch Sprechzimmer mit Gitter – beides ideal für Corona-Zeiten.

Die Winde ist nur zwischen Frau Anni und uns. Und das Sprechzimmer mit Gitter verwenden wir seit den 70er Jahren nicht mehr. Wir sitzen mit den Leuten, die uns besuchen, normal beisammen. Jetzt in der Fastenzeit haben wir sowieso keine privaten Besuche, danach wird man sehen.

SN: Warum haben Sie sich für ein Leben in der Klausur entschieden?

In erster Linie bin ich auf den Nonnberg gekommen, weil Gott mich hergeführt hat und weil mich der heilige Benedikt und seine Regel faszinieren. Das Zentrale im Leben als Nonne ist die Gottsuche. Gott ist für uns die Nummer 1. Wenn es weniger Ablenkungen gibt, ist es leichter, in Kontakt mit Gott zu bleiben. Dabei hilft die Klausur, aber sie ist kein Selbstzweck. Sie erleichtert es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und das schenkt zugleich eine große Freiheit. Viele Leute sehen gar nicht mehr, was sie alles haben. Dazu gaukelt die Werbung noch hunderttausend Dinge vor, die man haben muss – bis zur Fernreise. Aber dieser Konsumzwang beantwortet nicht die Fragen: Was zählt im Leben? Was ist zentral, um glücklich zu sein?

SN: Womit nähert man sich dem Lebensglück?

Alle wesentlichen Dinge in unserem Leben bekommen wir geschenkt. Dass wir auf der Welt sind, dass unsere Eltern uns bejaht haben, ist ein Geschenk. Dass wir morgens gesund aufstehen können, dass die Natur schön ist – wir sind so reich beschenkt! Und Gott schenkt uns das Leben mit jedem Atemzug! Wer sich das bewusst macht, kann vieles loslassen. Wir sind in Gottes Hand und Seine Liebe trägt uns. Das macht frei und dankbar.
Das heißt nicht, dass ich Materielles abwerte, ich freue mich über vieles, aber ich muss nicht alles haben, um glücklich sein.

SN: Was hilft dabei eine Ausgangsbeschränkung?

Wenn ich auf einen bestimmten Raum beschränkt bin, schärft sich der Blick für so manches, was ich im Trubel des normalen Alltags übersehen würde. Man entdeckt welche Schönheit auch im alltäglichen Umfeld verborgen ist.
Zugleich muss ich mich der konkreten Situation stellen – den Fragen meines Lebens, den Herausforderungen und Schwierigkeiten – und dabei einen Weg finden, wie ich damit umgehe.

SN: Warum ist Stille wichtig?

Stille heißt nicht bloß, nicht zu reden, sondern sich zu öffnen, um Gott zu hören. Das kann man lernen. Für uns ist die Stille nichts Bedrückendes sondern ein Raum der Freiheit und der Begegnung. Für manche Menschen ist die Stille ungewohnt und sie ziehen es vor, sich schnell mit lauter Musik oder anderen Dingen zuzudröhnen – es ist ein Weg des innerlichen Davonlaufens.

SN: Wann verlassen Sie das Kloster? Zu Spaziergängen?

Nein, auch nicht zu einem Kaffeehausbesuch. Wir gehen hinaus, wenn es notwendig ist – zum Arzt, bei Besorgungen, bei besonderen kirchlichen Feiern, eventuell zu Vorträgen.

SN: Frau Gertrudis Herzog, vor vielen Jahren Hüterin des Archivs, hat einmal erzählt, sie sei in über 50 Jahren als Nonnbergerin kein einziges Mal auf der Festung gewesen sei. Ist das noch heute so?

Ja. In den Ferien kann ich tagsüber einen Ausflug machen. Ich selber war vor meiner ewigen Profess einmal im Haus der Natur. Aber im normalen Alltag machen wir’s nicht.

SN: Haben Sie Urlaub?

Ja, drei Wochen im Jahr. Die Ferien sind eine Zeit der Erholung, denn unser Jahr ist herausfordernd. Ausschlafen gibt es ja nicht, wir fangen jeden Tag um sechs Uhr an. Den Urlaub kann man auch außerhalb des Klosters verbringen, und da kann ich z.B. wandern oder Rad fahren und meine Familie oder Freunde besuchen.

SN: Was sind Regeln für ein gutes Leben in Klausur?

Wichtig ist, eigene Schwächen ebenso geduldig hinzunehmen wie die anderer. Wie ich an mir feststelle, dass ich trotz Bemühens wieder in Fehler zurückfalle, so muss ich auch meine Mitschwester so nehmen, wie sie ist. Und ich gestehe ihr zu, dass sie um ihre Grenzen weiß.
Auch das steht in der Regel des Benedikt: Jede achte mehr auf das Wohl des anderen als auf das eigene. Das beginnt schon mit einem wohlwollenden Blick. Und jede bringt ein, was sie kann. Jeder Handgriff ist für die Gemeinschaft wichtig. Mich fasziniert immer wieder, wie sich unsere alten Mitschwestern darum bemühen. Eine konnte nicht mehr aus ihrer Zelle, da hat sie sich ein Bügelbrett bringen lassen, um im Sitzen etwas zu bügeln und so einer Mitschwester eine Arbeit abzunehmen. Und gut für das Miteinander sind gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Ehrfurcht, was aber nichts mit Distanziertheit zu tun hat.

SN: Wie sprechen Sie einander an? Mit Vornamen?

Wir sagen immer „Frau“ dazu. Benedikt sieht in der Regel vor, dass man einander nie mit bloßem Namen anspricht. Das sichert das stete Bewusstsein für die Freiheit des anderen und verhindert dessen Vereinnahmung. Ehrfurcht braucht eine Form – so wie das Gebet und das Essen eine gewisse Form brauchen – die die Freiheit des anderen offen hält.